Haircut
für Griechenland?
Angst
vor Schuldenschnitt versetzt Finanzwelt in Panik!
Ist
es wirklich so einfach? Braucht ein Land nur seine Schulden nicht
mehr zu bedienen oder seine Zahlungsunfähigkeit erklären -
und schon werden ihm ein Großteil der Schulden erlassen?
Wenn das so einfach ist, könnten andere Regierungen auf die Idee
kommen, es den Griechen gleich zu tun. Japan zum Beispiel ist
gemessen am BIP viel höher verschuldet als Griechenland, aber
niemand denkt dort auch nur im Traum an einen
Haircut. Nun
gilt Japan halt als sicherer Schuldner, die Gläubiger haben
keinerlei Zweifel, letztlich doch an ihr Geld zu kommen.
Griechenland jedoch kann noch nicht einmal Steuern in üblicher
Höhe erheben bzw. eintreiben! Viele griechische Arbeitnehmer und
Unternehmen zahlen einfach nicht - sie schulden dem gebeutelten Staat
bereits 40 Milliarden Euro und die Finanzbehörden wissen
offensichtlich nicht, wie sie mit säumigen Steuerzahlern umgehen
sollen.
In manchen griechischen Regionen gibt es nicht einmal Steuerprüfungen, dafür aber jede Menge korrupte Beamte. Diese chaotischen Zustände waren schon vor der Ablösung der Drachme bekannt - warum haben unsere Politiker und Währungshüter Griechenland überhaupt in den Euroclub aufgenommen?
Ist
Griechenland reformierbar?
Doch
nicht nur bezüglich der Steuern herrschen in Griechenland
anarchistische Zustände. Gewerkschaftliche Rechte degradieren
offenbar die griechische Regierung zur handlungsunfähigen
Marionette. In vielen Staatsbetrieben wird noch immer
überflüssiges Personal durchgeschleppt und werden
Traumgehälter gezahlt. Will aber die Regierung Staatsunternehmen
privatisieren oder die Gehälter auf ein normales Maß
zurechtstutzen, wären landesweite Streiks zu befürchten,
die die gesamte Volkswirtschaft zum Erliegen bringen.
Der
griechische Normalbürger muss derweil mit seinem niedrigen
Einkommen die grassierende Korruption und Handlungsunfähigkeit
ausbaden. Leider richtet sich der Zorn dieser Bürger nicht
gegen die Korruption, die Gewerkschaftsallmacht oder das verwahrloste
Steuersystem, sondern dumpf und kurzsichtig gegen die
Sparmaßnahmen der Regierung.
Man wettert gegen die bittere Medizin und will seinen ungesunden
Lebensstil nicht ändern. Denn auch der Grieche verfolgt
vorrangig nur seinen (scheinbaren) Eigeninteressen und macht sich
wenig Gedanken darüber, wie ein Staat funktionieren kann oder
muss.
Wenn
dem griechischen Staat 50 % der Schulden erlassen werden,
könnten auch andere Länder auf die Idee kommen,
sich auf Kosten der Gläubiger zu sanieren. Und damit
bräche das globale Banken- und Finanzsystem ein
für allemal zusammen.
Ein
Schuldenschnitt wäre das falsche Signal!
Anders
als die vorlauten Experten, die eine Pleite Griechenlands für
unvermeidlich halten, warne ich vor dem Schuldenerlass (von 50
% ist meistens die Rede). Es ist nicht einzusehen und es darf auch
nicht Schule machen, dass andere Staaten die Sünden der
einstigen griechischen Regierungen und den egoistischen Starrsinn und
Schlendrian der griechischen Bevölkerung ausbaden.
Das
soll nicht heißen, dass man Griechenland in seiner Not nicht
beistehen muss. Griechenland braucht Staatsanleihen zu halbwegs
normalen (zum Beispiel italienischen) Zinssätzen. Also braucht
es Bürgschaften der anderen Eurostaaten - unter Einhaltung
strikter Auflagen natürlich.
Und Griechenland muss dennoch schnellstmöglich aus der
Eurozone austreten und seine Drachme wieder einführen.
Ansonsten kann es auf Dauer kaum genesen. Unter diesen beiden
Voraussetzungen könnte Griechenland seine Schulden in den Griff
bekommen - der dramatische Haircut wäre
überflüssig.
Die
Kreditausfallversicherer werden geschont!
Die
großen Absahner bei den riskanteren Staatsanleihen waren
bislang immer die Kreditausfallversicherer. Sie haben für viele
Eurostaaten saftige Prämien kassiert (daher die oft hohen
Zinssätze), ohne jemals in die Haftung genommen zu
werden.
So soll das offenbar auch bleiben, denn für den Schuldenschnitt bei den griechischen Staatsanleihen sollen nach dem Willen der Regierungen die Investoren aufkommen. Indem man die Banken und Versicherungen zu einem "freiwilligen" Schuldenerlass zwingt, schont man die Kreditausfallversicherer (die bei einem freiwilligen Verzicht natürlich nicht einspringen müssen).
Was für ein hinterhältiges Vorgehen! Ob sich diese schäbige Strategie zu Lasten der Banken und sonstigen Investoren auszahlt, wird sich noch zeigen. Indem man den Investoren die Kosten für den (meiner Meinung nach unnötigen und höchst unmoralischen) Schuldenschnitt aufbrummt, soll der Steuerzahler geschont werden. Doch wie naiv ist diese Denke? Denn die Verluste der Lebensversicherer müssen letztlich die Versicherten ausbaden, die der Banken die Aktionäre und Mitarbeiter.
Als Folge des aufgezwungenen Schuldenschnitts müsste es auf breiter Front zu Zinserhöhungen für Staatsanleihen kommen - die wiederum alle Steuerzahler belasten. Um das zu verhindern, könnte die EZB in Versuchung kommen, den Markt mit nahezu zinslosem, frischgedrucktem Geld zu fluten. Diese Strategie würde aber die Sparer schleichend enteignen, Lebensversicherungen entwerten und zudem wichtige marktwirtschaftliche Grundsätze aufheben.
Zu meinen, man könne die Kosten des griechischen Schuldenschnitts ungestraft den "bösen" Investoren aufbrummen, scheint mir daher mehr als naiv. Zumal wenn man darauf angewiesen ist, dass die Staatsanleihen der Eurostaaten auch weiterhin Käufer finden (oder soll das künftig auch die EZB übernehmen)?
Sollen
die Banken in den Ruin getrieben werden? Staatsanleihen
der Eurostaaten galten grundsätzlich als
mündelsicher (risikolos), die Banken brauchten
dafür keine Sicherheiten hinterlegen. Durch die
Weltwirtschaftskrise 2008 gerieten manche Eurostaaten in
Schwierigkeiten und die griechischen Bilanzfälschungen
flogen auf. Die
Banken und Versicherer wollten daraufhin ihre griechischen
Staatsanleihen abstoßen, wurden aber von den
Regierungen gedrängt, genau dies nicht zu tun und Ruhe
zu bewahren. Man versprach dieses und jenes, verlangte aber
schließlich doch einen freiwilligen Schuldenschnitt
von 20 %, den die Investoren auf ihre eigene Kappe nehmen
sollten. Gleichzeitig
sollen die Banken ab Juli 2012 die Eigenkapitalquote von 5
auf 9 % erhöhen. Sie benötigen also frisches Geld
oder müssen ihr Kreditvolumen verringern. Diese
Umstände haben zum Beispiel den Kurs der
Commerzbank-Aktie weiter abstürzen lassen, viele
Aktionäre haben dadurch über 90 % Verluste
eingefahren. Parolen
wie "Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren" treffen
es also nicht, sondern werden eher zur wahltaktischen Hetze
missbraucht. Auch die Investoren mussten bisher kräftig
bluten und hinter dem Wort Investoren verbergen sich eben
auch alle Normalbürger, die eine kleine
Lebensversicherung laufen haben.
Die
Staaten finanzieren ihre Schulden üblicherweise
über festverzinsliche Staatsanleihen. Käufer sind
in der Regel Banken, Pensionsfonds und große
Versicherungen.
Der Schuldenschnitt wurde schließlich auf 50 %
hochgeschraubt, was viele Banken natürlich in arge
Bedrängnis bringt. Zwar müssen Versicherungen und
Pensionsfonds, die griechische Staatsanleihen im Portfolio
haben, auch herbe Verluste hinnehmen. Aber diese Verluste
erschüttern nicht die Konzerne, sondern werden meist
weitergereicht an die Versicherten (sinkende
Überschussbeteiligungen).
Aufklärung
der Bevölkerung
Wir
leben im sogenannten Informationszeitalter und in einer solchen
Ära sollte es eigentlich möglich sein, aufgeschlossenen
Menschen die volks- und weltwirtschaftlichen Zusammenhänge
über Fernsehdokumentationen nahezubringen.
Wenn die griechische Regierung diese Aufklärungsarbeit nicht leisten will oder kann, muss die EZB (oder eine andere EU-Institution) entsprechende Fernsehproduktionen anbieten und im griechischen TV mehrfach senden. Parallel dazu müsste im Wipounterricht der höheren Schulklassen der systemrelevante Stoff durchgenommen werden.
Das
griechische Volk muss die zersetzende Kraft der Korruption begreifen
und verinnerlichen, muss die Notwendigkeit eines funktionellen
Steuerapparats als Selbstverständlichkeit akzeptieren lernen und
darüber nachdenken, ob Streikrechte die Regierungsmacht
aushebeln dürfen.
Ohne seriöse Aufklärungsarbeit wird man die
Bevölkerung von den notwendigen Reformen schwerlich
überzeugen können - das Land wäre damit nicht
zukunftsfähig.
Nachtrag
Juni 2012:
Woher
hat Griechenland das Geld für das üppige Kindergeld?
Griechenland
zeigt nur zögerlich und widerspenstig Reformwillen. Im Vertrauen
darauf, weiterhin mit Schuldenerlassen und Rettungspaketen rechnen zu
können. Man muss sich schon wundern, wenn nach fünf langen
Reformjahren immer noch keine wirklich durchgreifende
Steuerbehörde funktioniert, kein Katasteramt aufgebaut wurde, es
immer noch viel zu viele Staatsbeamte gibt (Vetternwirtschaft), in
Staatsbetrieben nach wie vor horrende Gehälter gezahlt werden
und der Staat es sich sogar leisten kann, seinen Bürgern ein
Kindergeld zu zahlen, das 20 mal höher ist als im benachbarten
Bulgarien (Griechenland zahlt 200 Euro, Bulgarien 10 Euro). Wieso
kann sich Griechenland all diesen Luxus leisten?
Nachtrag Mai
2015:
Der
Schuldenschnitt hat wenig genützt!
Wie nicht
anders zu erwarten, erhielt Griechenland den ersehnten
Schuldenschnitt. Nur wenige Monate nach Veröffentlichung dieses
Artikels wurden dem Land 107 Milliarden Euro erlassen. Doch die
Probleme wurden durch diesen Gewaltakt nicht wirklich gelöst.
Neue Schulden türmten sich rasch auf, so dass längst ein
erneuter Schuldenschnitt gefordert wird. Soll das nun immer so weiter
gehen?
Hätte
es eine europäische Staatsschuldenkrise ohne den Euro
gegeben?
Wann
haben Politiker endlich den Schneid, ihre Fehler
einzugestehen?
Weiterführende
Texte:
"Aber
Deutschland gewährte man doch auch einen
Schuldenschnitt!"
Lesenswert!
Hintergrund & Analyse (alles werbefrei):
Recherche:
Ist die AfD demokratiefeindlich?
Bootsflüchtlinge:
Hapert es nur am
Verteilungsschlüssel?
Ist
die Europäische Union
gescheitert?
Ist
die EU nur über eine Billiggeldschwemme zu
retten?
Wann
kommt der Dexit?
(der Austritt Deutschlands aus der EU)
Trügerischer
Wirtschaftsboom:
Wann zerfällt das Kartenhaus aus Billiggeldschwemme,
Nullzinspolitik und Währungsdumping?
Ist
der Kapitalismus reformierbar?
EU-Gegner:
Die EU hat keine Zukunft!
Werden
die Werkverträge nun endlich
abgeschafft?
Das
Märchen von der globalen
Marktwirtschaft.
Stirbt
Deutschland wirklich aus?
Nonsens pur: "Zuwanderung
entlastet die Sozialkassen!"
Der
Gesinnungsjournalismus hat sich
ausgebreitet!
Warum
ist eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung noch immer für
die EU?
Niederlassungsfreiheit: Der
deutsche Sozialstaat - das Paradies für europäische
Armutsflüchtlinge!
Startseite
www.das-kapital.eu
© Dieser Text ist die Zusammenfassung einer Studie des
Wirtschaftsanalysten und Publizisten Manfred J. Müller aus
Flensburg.
Erstveröffentlichung 2011. Impressum
Schon
vor Corona sanken die Löhne. Und was erwartet
uns jetzt? Wollen
wir uns wirklich mit stetig sinkenden Reallöhnen und
steigenden Arbeitslosenzahlen abfinden?
NEU:
Die
Wandlung Deutschlands nach der Corona-Krise Das
Coronabuch liefert allumfassende, leicht verständliche
Erklärungen für das raffinierte Zusammenspiel der
kontraproduktiven Kräfte und Strömungen. Es
überzeugt durch seine stichhaltigen Argumente. Es zeigt
auf, wo angesetzt werden müsste, um unsere Welt
nachhaltig zu ändern. "Die Wandlung Deutschlands nach
der Coronakrise" bietet ein plausibles Gesamtkonzept und
verliert sich nicht in widersprüchlichen,
realitätsfernen Einzelmaßnahmen. Welche
wirtschaftlichen Konsequenzen muss Deutschland aus der
Coronakrise ziehen?
Sei 40
Jahren befindet sich Deutschland (und viele andere westliche
Industrienationen) im schleichenden Niedergang. Trotz
steter produktiver Fortschritte sanken seit 1980 die
inflationsbereinigten Nettolöhne und Renten,
vervielfachten sich die Arbeitslosenzahlen und kam es in
fast allen Berufen zu heftigen Leistungsverdichtungen.
Warum?
Weil unsere Demokratien (Politik & Medien) über
geschickt lancierte, konzernfreundliche Lebenslügen
sich weitgehend von der Vernunft und Realität
verabschiedet haben. Weil den Wählern wichtigste
Informationen vorenthalten werden, glauben sie mehrheitlich,
das innereuropäische und globale Lohn-, Konzernsteuer-,
Ökologie-, Zoll- und Zinsdumping sei ein notwendiges,
unabwendbares Übel.
Zerbricht
jetzt die verlogene, konzernfreundliche Welt des
Gesinnungsjournalismus?
Manfred
Julius Müller, 172 Seiten, Format 17x22
cm,
13,50
Euro
Ein
"Weiter-So!" kann und darf es nach Corona nicht geben. Denn
wenn sich grundlegend nichts ändert, droht ein Kollaps
der Weltwirtschaft. Dann werden besopnders im- und
exportabhängige Staaten zu drastischen Maßnahmen
greifen müssen (Währungsreformen,
Hyperinflationen, Vermögensabgaben, Steueranhebungen,
Rentenkürzungen, höhere
Sozialversicherungsbeiträge, Kürzungen der
Sozialhilfen usw.).